zurück
Christian Pfister, angehöriger Vater

«Ja, ich geb’s zu, wir wollen mit Stand by You Schweiz die Welt verändern»

Christian Pfister, Co-Präsident von Stand by You Schweiz, wehrt sich gegen die Diskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen und von ihren Vertrauten. Sein Punkt: Angehörige sind systemrelevant – sie zu befähigen, in ihrer Rolle zu bestehen, entlastet das System.
Maske

Mein Name ist Christian Pfister. Ich wurde von Stand by You Schweiz (früher VASK Schweiz), der Dachorganisation der Angehörigen und Vertrauten von Menschen mit psychischen Erkrankungen in der Schweiz, Anfang 2023 zum Co-Präsidenten gewählt. Meine Motivation ist unmittelbar: Ich selbst bin Angehöriger und damit «Experte aus Erfahrung». Und dies aus zwei Perspektiven: Mein Vater war stets in Not, kämpfte mit Depressionen und einer Alkoholsucht – und leider ist meine Tochter vor 13 Jahren mitten im Studium schwer psychisch erkrankt. Was meine Tochter erleben musste, hatte mich zutiefst erschüttert – seit ihrer Erkrankung bin ich auf dem Weg, mich in meiner Angehörigenrolle weiterzuentwickeln und gegen die Diskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu wehren. Ein Weg, der wohl nie zu einem Ende kommen wird.

Angehörige und Vertrauenspersonen von psychisch erkrankten Menschen sind in vielerlei Hinsicht systemrelevant. Denn was das System nicht oder nur bruchstückhaft zu lösen vermag, landet letztlich auf den Schultern von Vertrauten, Eltern, Geschwistern, Partnerinnen und Partnern von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Angehörige leisten eine grosse Arbeit. Ohne sie würde das System kollabieren und das Leid der Betroffenen grösser.

Enorme Herausforderungen
Ich glaube, dass die Belastung der Angehörigen zunehmen wird. Denn die Psychiatrie ist am Limit – auch wenn Pflegende, Psychologen und Psychiater mit grossem Engagement zu Werke gehen: Indizien dafür sind der Pflegenotstand, stark wachsende Zahlen in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, fehlende Plätze und Angebote im stationären und ambulanten Bereich, eine markante Zunahme der Zwangsmassnahmen, und ein wachsender Kostendruck, um nur einige Herausforderungen zu nennen.

Allein die Situation in der Jugendpsychiatrie gibt zu grossen Sorgen Anlass. Die steigende Zahl an jungen Menschen in seelischer Not kontrastiert mit einem System, das nicht adäquat reagieren kann. Unlängst haben Fachleute diesbezüglich erneut Alarm geschlagen und darauf aufmerksam gemacht, dass Jugendliche zum Teil ein Jahr warten müssen, bis ein Platz in der Klinik angeboten werden kann. Die Wartezeiten für Kinder und junge Erwachsene sind auch für ambulante Hilfestellungen besorgniserregend.

Kaum vorzustellen, was dieser Notstand für die Angehörigen und Vertrauten (Mütter, Väter, Geschwister, Freunde/Freundinnen, Grosseltern) dieser Jugendlichen bedeutet. Undenkbar, in welche Überforderung, welche Angst und welchen Stress diese durch die mangelnden Unterstützungsangebote getrieben werden. Klar auch, dass durch die fehlenden Angebote im Jugendbereich Gesundungschancen der Heranwachsenden in fataler Weise vergeben werden.

Die Angehörigenbewegung stärken
Eine starke Angehörigenbewegung eröffnet Möglichkeiten, die Nöte der Betroffenen und ihrer Angehörigen in der Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Organisationen sichtbar zu machen und damit gemeinsam Handlungen und Verbesserungen anzustossen.

Stand by You Schweiz hat sich deshalb in einem Projekt zum Ziel gesetzt, schweizweit die Solidaritätsnetze in den Regionen zu stärken, mehr Bewältigungshilfen und Angebote zur Befähigung bereitzustellen, damit Angehörige aus der Isolation finden, sich selbst Sorge tragen und Angebote zur Befähigung finden können. Und das ist von gesellschaftlicher Relevanz, weil nur starke, bewusst handelnde Angehörige ihren Betroffenen eine wirksame Begleitung anbieten können und so – gesamtgesellschaftlich gesehen – das System entlasten. Ist dies ein realistisches Ziel? Oder ist das einfach mein Traum? Nun, jede grosse Veränderung fängt wohl mit einer grossen Portion Naivität an. Insofern ja, ich geb’s zu, wir wollen mit Stand by You Schweiz die Welt verändern. Dazu stehe ich – und hoffe, dass sich viele neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter unserer Angehörigenbewegung anschliessen werden.

Sie sind nicht allein

Sind auch Sie Angehörige:r oder Vertraute:r einer psychisch erkrankten Person? Wir sind für Sie da. Ob in täglichen Herausforderungen oder in Situationen der Hoffnungslosigkeit versuchen wir, Orientierung zu geben und gemeinsam Wege zu finden. Kontaktieren Sie uns.