zurück
Karin Loewenberg, angehörige Tochter und Ex-Partnerin

«Den Angehörigen eine Stimme geben»

Karin ist in doppelter Weise betroffen: als angehörige Tochter und als Ex-Partnerin. Es ist ihr ein grosses Anliegen, dass auch Angehörige aus Kulturen Unterstützung erhalten, in denen psychische Erkrankungen mit noch viel grösserer Scham behaftet sind als bei uns.
Maske
« Die Rolle als Angehörige ist ein dauernder Balanceakt: Man ist mit dem nahestehenden Menschen unterwegs, unterstützt – und zugleich muss man bei sich bleiben. Man fährt auf der Achterbahn der psychisch erkrankten Person mit, die oft aus dem Nichts zwischen den emotionalen Polen von Notzustand bis Ausgeglichenheit hin- und hergeworfen wird. Auf dieser Fahrt muss man sich selbst Raum schaffen, anhalten und spüren, wo man sich zwischen den Polen platzieren kann oder muss. Sonst reagiert man nur und ist unfähig, bewusst zu entscheiden, was die betroffene Person und man selbst braucht, um zu (über)leben.
Das kostet immer wieder unvorstellbare Kräfte. Oft erleben Angehörige über Jahre und Jahrzehnte hinweg schwierige Zeiten in der Begleitung eines nahestehenden Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Das isoliert, denn die Kraft, neben Arbeit und Verpflichtungen Freundschaften zu pflegen oder Zeit für sich zu nehmen, fehlt oft. Dabei sind gerade Freund:innen so unglaublich wichtig, die mit einem diese herausfordernden Zeiten aushalten, ohne Rat-Schläge zu geben. Sie geben einem Kraft und Perspektive. Doch genau diese Freundschaften werden oft rarer, weil Aussenstehende wohl chronische körperliche Krankheiten «nachvollziehen» können, für psychische Erkrankungen aber weniger Verständnis und Ausdauer mitbringen. Deshalb ist es eine grosse Hilfe, sich mit anderen Angehörigen zu treffen, in einem sicheren Rahmen auszutauschen und einander aus der gemeinsamen Erfahrung und mit dem gewonnen Wissen zu unterstützen und weiterzuhelfen.
Als angehörige Tochter eines Vaters, der sich das Leben genommen hat, und nach 30 Ehejahren als Angehörige meines Ex-Partners mit komplexer posttraumatischer Belastungsstörung, möchte ich Angehörigen mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen eine Stimme geben. Nicht nur, dass wir unsere eigenen Stimmen im Gewirr des Erlebens immer wieder finden, sondern auch, dass wir unsere Stimmen auf gesellschaftlicher und gesundheitspolitischer Ebene erheben.
Es ist mir ein grosses Anliegen, dass Angehörige aus anderen Kulturen Unterstützung in ihrem Erleben und ihrer Rolle, aber auch Wissen erhalten, wie mit psychischen Erkrankungen umzugehen. In vielen Kulturen und Traditionen sind psychische Erkrankungen mit noch viel grösserer Scham und wenig Verständnis behaftet. Durch meine Erfahrungen aus der früheren Ehe mit einem Menschen aus einem kriegszerrütteten Land, wo sich der Krieg seit vier Generationen hinzieht, ist es unerlässlich, dass ein Verständnis in der Schweiz für Familiensysteme wächst, die von Migration, Kriegserlebnissen und unsicherer Existenz geprägt sind. Dazu braucht es Angebote, die diesen Angehörigen Raum geben, ihre Stimme zu finden und ihren Bedürfnissen Rechnung zu tragen.
»
Sie sind nicht allein

Sind auch Sie Angehörige:r oder Vertraute:r einer psychisch erkrankten Person? Wir sind für Sie da. Ob in täglichen Herausforderungen oder in Situationen der Hoffnungslosigkeit versuchen wir, Orientierung zu geben und gemeinsam Wege zu finden. Kontaktieren Sie uns.