zurück
Andréa Jacob, angehörige Partnerin

«Psychische Erkrankungen bedeuten nicht nur für die Betroffenen ein Erdbeben»

Ihr ehemaliger Lebenspartner nahm sich aufgrund einer Depression vor fünf Jahren das Leben. Andréa Jacob spricht offen darüber. Das braucht Mut – aber für sie ist es ein Weg, um sich der Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen entgegenzustellen.
Porträt von Andréa Jacob
Maske

Was ist dein Bezug zum Thema «Angehörige und Vertraute» von Menschen mit psychischen Erkrankungen?

Ich lebte einige Jahre mit einem Partner zusammen, der an Depressionen litt. Er hat sich vor fünf Jahren in einer erneuten Phase der Verzweiflung das Leben genommen. Ich lernte also als Vertraute den Leidensweg eines lieben Menschen kennen. Dabei erlebte ich seine Hilflosigkeit, seine Verzweiflung und lernte auch, dass psychische Erkrankungen nicht nur für die Betroffenen ein Erdbeben bedeuten, sondern auch für ihre Nahestehenden sehr schwierig sind.

Du sprichst vom Leidensweg, den dein damaliger Partner durchmachte. Wie ist es dir damit ergangen?

In Phasen der Depression entschwand er in ein schwarzes Loch. Alles Leben in ihm erstarrte. Zu sehen, wie ein Mensch in sich zusammenbricht, zu keiner Hoffnung mehr fähig, ist herzzerreissend. Als Vertraute, als Angehörige gilt es immer wieder von Neuem zu verstehen, wie man helfen kann. Aber vor allem auch, dass man der betroffenen Person nichts abnehmen, sie nicht «heilen» kann.

Was hat dir in dieser Phase geholfen?

Zu verstehen, was eine Depression eigentlich ist, was sie mit Menschen macht. Ich musste auch lernen, dass sich die Krankheit unabhängig von mir entwickelte. Das war eine wichtige Einsicht.

« Schliesslich sind es die Nahestehenden, die – natürlich abgesehen von den Betroffenen – das Meiste mittragen. »

Hast du in dieser Zeit Unterstützung erfahren?

Ich hatte zum Glück meine Familie, enge Freundinnen und eine ganz tolle Chefin, die mich stärkten. Vom psychiatrischen System habe ich nicht viel Hilfe bekommen – aber wusste auch nicht, was da zu erwarten gewesen wäre. Ich bin jedoch engagierten Einzelpersonen begegnet, wie einer wirklich guten Psychiaterin in einer Klinik, die meine Position gut im Auge hatte. Geholfen hat mir auch der Rat des Psychiaters meines damaligen Partners, der mir erklärte, es sei in Ordnung, Grenzen zu setzen und nicht alles aufgrund der Depression zu entschuldigen. Ich erinnere mich auch an eine ausserordentlich engagierte Pflegefachfrau, bei der ich das Gefühl hatte, «she really cares». Ich glaube, was die Unterstützung von Angehörigen und Vertrauten anbelangt, gibt es noch viel zu tun. Gerade «neue» Angehörige haben noch nicht gelernt, mit dem Ganzen umzugehen und die Erwartungen, Hoffnungen und Ansprüche an einen selbst sind gross. Da wäre es nicht nur gut, Unterstützung zu bekommen, sondern unbedingt notwendig. Schliesslich sind es die Nahestehenden, die – natürlich abgesehen von den Betroffenen – das Meiste mittragen.

Du sprichst offen über diese leidvolle Geschichte. Warum?

Es gibt keinen Grund, sich für das zu schämen, was mir – und vor allem ihm – widerfahren ist. Ich weiss, dass viele Menschen Ähnliches durchleben. Es ist wichtig zu teilen, damit andere wissen, dass auch das Platz hat und sich getrauen, Hilfe zu suchen und sich mit anderen auszutauschen. Und es ist Zeit anzuerkennen, dass wir eine gesellschaftliche Herausforderung haben, die sich nicht von allein löst. Ich möchte dazu beitragen, dass Menschen mit psychischen Krisen und Erkrankungen und mit ihnen ihre Angehörigen und Vertraute nicht stigmatisiert werden.

Sie sind nicht allein

Sind auch Sie Angehörige:r oder Vertraute:r einer psychisch erkrankten Person? Wir sind für Sie da. Ob in täglichen Herausforderungen oder in Situationen der Hoffnungslosigkeit versuchen wir, Orientierung zu geben und gemeinsam Wege zu finden. Kontaktieren Sie uns.