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Remo Schraner, angehöriger Partner

«Was ich uns allen wünsche»

Seit 2015 sind Remo Schraner und sein Partner ein Paar. Die Höhen und Tiefen des Lebens testeten ihre Beziehung bereits mehrfach. In diesem Text erzählt Remo, wie es für ihn als Angehöriger ist, den eigenen Partner in einer depressiven Episode zu erleben – und warum er sich für andere das wünscht, was auch er hat.
Maske

Wie oft ich schon wütend auf meinen Partner war, weiss ich nicht mehr. Ja, auf ihn, nicht auf seine Depression. Denn wenn er wieder einmal einen Termin vergessen hat, wieder einmal nicht aus dem Bett kam oder wieder einmal Suizidgedanken hatte, ist es für mich einfacher, auf ihn wütend zu sein. Denn wie soll ich meine Wut auf eine Erkrankung ausdrücken? Wie kann ich die Depression zur Rechenschaft ziehen? Das geht nicht. Ich habe es versucht.

Natürlich: Mein Verstand weiss, dass es die Depression ist, die meinem Partner seine Anstellung geklaut hat. Eine Anstellung, die er liebte. Dass es die Depression ist, die nicht zulässt, dass wir uns umarmen können. Dass es die Depression ist, die ihn auf den eigenen Tod hoffen lässt. Und dass es auch die Depression ist, die ihn dazu zwingt, die Beziehung zu beenden. Einmal, zweimal, dreimal, viermal. Vielleicht fünfmal.

Ja, ich weiss, dass die Depression schuld daran ist. Und trotzdem ist es einfacher, auf meinen Partner wütend zu sein. Denn manchmal will ich einfach nicht wahrhaben, dass das unser Leben ist. Dass das sein Leid ist. Also bin ich wütend. Auch wenn er nichts dafür kann.

Wie gern würde ich ihm seine Last von den Schultern reissen und sie wegtragen. Weit, weit weg! Aber das geht nicht. Ich habe es versucht. Ich habe es so oft versucht, dass ich vergessen habe, dass da ja noch ein anderer Rucksack ist. Mein eigener. Und meinem Rucksack ist es egal, was da sonst noch läuft: Immer wieder verlangt er, dass ich gut zu ihm schaue. Ansonsten erdrückt er mich mit seiner Last. Also lasse ich meinen Partner seinen Rucksack wieder selbst tragen. Eine Aufgabe, der er in depressiven Episoden nicht gewachsen ist. Aber ich kann ihm nicht tragen helfen. Ich kann nichts tun. Ausser zuschauen. Und verzweifeln.

Aber nicht nur ich muss diese Verzweiflung aushalten und grosses Verständnis aufbringen. Sondern auch er. Wenn er inmitten seiner depressiven Episode meine Verzweiflung, meine Angst und meine Sorgen sieht, gilt es auch für ihn: Aushalten. Durchatmen. Hoffen. Hoffen, dass es besser wird. Oder hoffen, dass alles bald vorbei ist.

Die psychische Erkrankung betrifft nicht nur meinen Partner. Das ganze Umfeld, ja das ganze System erkrankt mit. Darum muss auch das gesamte Umfeld – zusammen mit meinem Partner – wieder gesund werden. Oder sich zumindest gemeinsam auf den Recoveryweg machen. Niemand hat mich zur Teilnahme angefragt. Aber da bin ich und versuche, mich zurechtzufinden. Die Frage, was fair und unfair ist, stelle ich nicht gerne. Und doch denke ich oft daran.

Oft versuche ich mir vorzustellen, wie unsere Beziehung aussehen würde, wenn wir beide einfach gesund wären. Aber an dieser Vorstellung scheitere ich. Denn auch wenn unser gemeinsames Leben nie einfach war, uns heute noch herausfordert und uns immer wieder in neue, ungewohnte Situationen katapultieren wird: So ist es die schönste, innigste und vertrauteste Zeit, die ich je mit einem Menschen verbringen durfte.

Niemandem auf der Welt wünsche ich einen Partner oder eine Partnerin mit einer psychischen Erkrankung. Aber ich wünschte, alle hätten einen Partner wie Marco.

Sie sind nicht allein

Sind auch Sie Angehörige:r oder Vertraute:r einer psychisch erkrankten Person? Wir sind für Sie da. Ob in täglichen Herausforderungen oder in Situationen der Hoffnungslosigkeit versuchen wir, Orientierung zu geben und gemeinsam Wege zu finden. Kontaktieren Sie uns.