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Die ersten Absolventinnen und Absolventen der Helpline-Ausbildung stehen den Angehörigen bei

Der erste Ausbildungslehrgang für Angehörige und Vertraute von Menschen mit psychischen Erkrankungen, die freiwillig anderen Angehörigen an der Helpline von Stand by You Schweiz beistehen, wurde erfolgreich abgschlossen. Ein Meilenstein für die Angehörigenbewegung. Silvia Andres, Projektverantwortliche, zieht ein erfreuliches Fazit: «Angehörige kommen oft in einem Zustand der völligen Erschöpfung, voller Unsicherheit und Einsamkeit zu uns. Es ist spürbar, dass sie am Ende ihrer Kräfte sind und nicht wissen, wie sie weiterhelfen können. Es ist eine herausfordernde, aber auch sehr erfüllende Aufgabe, Menschen in solchen komplexen Situationen zu begleiten und sie in ihren Ressourcen zu stärken.»

Der erste Ausbildungslehrgang für die HelpLine von Stand by You Schweiz ist gerade zu Ende gegangen. Was ist Dein Fazit?

 Erstmals freue ich mich riesig über den Abschluss des ersten Kursausbildungslehrgang der HelpLine STAND BY YOU Schweiz und ich bin begeistert, was wir zusammen erreicht haben!

Die Rückmeldungen der Kursteilnehmenden sind durchwegs positiv.

Der Ausbildungskurs für die HelpLine war eine äußerst bereichernde Erfahrung, die durch  offene und ehrliche Kommunikation geprägt war. Die Teilnehmenden zeigten nicht nur ein tiefes Verständnis für die Bedeutung von Gesprächen, sondern auch eine hohe Empathie und die Bereitschaft, ihre Zeit im Sinne der Freiwilligenargbeit für andere zu investieren. Durch die Kombination von systemischer Gesprächsführung und der Perspektive der Angehörigen auf die Krankheitsbilder wurde ein starkes, unterstützendes Team gebildet, das befähigt ist, Angehörigen eine wertvolle Unterstützung zu bieten.

Du arbeitest auch persönlich für die HelpLine. Was sind Deine Erfahrungen?

 In meiner Arbeit bei der HelpLine 0800 840 400 (oder phone@standbyyou.ch) erlebe ich immer wieder, wie verzweifelt Angehörige und Vertraute von Menschen mit psychischen Erkrankungen sein können. Sie kommen oft in einem Zustand der völligen Erschöpfung, voller Unsicherheit und Einsamkeit zu uns. Es ist spürbar, dass sie am Ende ihrer Kräfte sind und nicht wissen, wie sie weiterhelfen können. In diesen Momenten ist es meine Aufgabe, zuzuhören, sie zu bestätigen, ihnen beizustehen und spüren zu lassen, dass sie nicht allein sind. Immer wieder bin ich beeindruckt, was diese Menschen für ihre Liebsten in der Vergangenheit alles geleistet haben und was für Energien sie mobilisieren konnten.  Indem wir gemeinsam die nächsten Schritte besprechen, öffnen sich oft neue Türen. Besonders wichtig ist mir, den Angehörigen immer wieder bewusst zu machen, wie wichtig es ist, gut auf sich selbst zu achten. Nur wenn sie sich selbst nicht verlieren, können sie ihre Liebsten weiterhin unterstützen.

Neben der emotionalen Unterstützung weise ich die Anrufenden auf Selbsthilfegruppen und spezielle Angebote hin, die gezielt auf die Bedürfnisse von Angehörigen zugeschnitten sind.  Häufig ist es auch notwendig, sie an andere Institutionen oder Organisationen weiterzuleiten, die eine noch spezifischere Hilfe anbieten können. Besonders wichtig sind unsere regionalen VASK-Regionen, welche selbst unterschiedliche Begegnungsmöglichkeiten anbieten und die kantonalen Angebote und Organisationen gut kennen.  Es ist eine herausfordernde, aber auch sehr erfüllende Aufgabe, Menschen in solchen komplexen Situationen zu begleiten und sie in ihren – meist aussergewöhnlichen – Ressourcen zu stärken.

Was war bisher für Dich die eindrücklichste Begegnung mit Angehörigen, die sich bei Dir an der HelpLine gemeldet haben?

 An einem regnerischen Nachmittag rief eine Mutter verzweifelt bei der HelpLine 0800 840 400 an. Ihr Sohn, ein junger Erwachsener, leidet seit acht Jahren an Schizophrenie, und sie fühlte sich völlig hilflos. Sechs Mal hat sie die Polizei in den vergangenen Jahren gerufen, weil er in Krisen geraten war, und jedes Mal wurde er mit einer fürsorgerischen Unterbringung in die Klinik gebracht. Doch er weigerte sich, die Medikamente zu nehmen und die Klinik entliess ihn nach einigen Stunden oder Tagen – trotz gültigem fürsorgerischen Unterbringungsbeschluss. Und wieder die Erfahrung: „Was die Psychiatrie nicht leisten kann, lastet auf den Schultern der Angehörigen.“

Ich hörte ihr zu und wir begannen, ein Netzwerk mit lokalen Organisationen zu aktivieren, um sie und ihren Sohn zu unterstützen. Ein wichtiger Wendepunkt war das Konzept von Open Dialogue, bei dem alle Beteiligten – der Sohn, die Mutter und Fachpersonen – gemeinsam in den Heilungsprozess eingebunden werden. Schritt für Schritt, durch Gespräche und gegenseitiges Vertrauen, begannen sich kleine Fortschritte zu zeigen. Die Mutter konnte wieder Hoffnung schöpfen und fühlte sich nicht mehr ganz allein.

Es war und bleibt ein langer Weg, aber der erste Funken Hoffnung ist gezündet. Sie ist nicht mehr nur die verzweifelte Mutter, sondern Teil eines unterstützenden Netzwerks, das gemeinsam nach Lösungen sucht. Und auch ihr Sohn beginnt sich immer stärker in den Prozess einzubringen.

 Was muss jemand können, um an der HelpLine bestehen zu können?

Die Bereitschaft, ehrenamtlich Zeit für andere Menschen zur Verfügung zu stellen. Die Person muss zwingend die Erfahrung als Angehörige oder Vertraute von psychisch belasteten Personen haben. Sie muss aber auch selbst belastbar und mental gesund sein. Weiter sind Attribute wie Kommunikationsfähigkeit, Toleranz, Respekt, Geduld und Empathie wichtig für den Umgang mit den Angehörigen. Die Bereitschaft zur Selbstreflexion, um sich weiterzuentwickeln, ist eine weitere wichtige Voraussetzung.

Was sind an einer HelpLine die grössten Herausforderungen?

Die grösste Herausforderung ist, ganz im Hier und Jetzt zu sein und bewusst zuzuhören.

Kann es auch zu Überforderungen kommen? Wie geht Ihr damit um?

Mit den Kursteilnehmenden haben wir geübt die Zeichen einer Überforderung zu erkennen, reagieren zu können und sich Unterstützung zu holen. In den ersten Monaten der Einführung haben wir Mentor:innen, die begleiten und jederzeit zur Verfügung stehen und zudem 2er Teams, die sich gegenseitig unterstützen. Zudem bieten wir regelmässige Supervisionen inklusive Weiterbildungen an.

Die Angehörigen-HelpLine von Stand by You Schweiz ist eine von vielen Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen. Was macht dieses Angebot speziell?

Das Angebot ist niederschwellig, kostenlos und anonym und die HelpLine wird von Angehörigen und Vertrauten betreut, die die Angehörigenperspektive aus eigener Erfahrung kennen.

Wie unterscheiden sich die Anfragen auf die HelpLine von denen, die per Email reinkommen?

Die inhaltlichen Anfragen von einem Anruf oder einer E-Mail Anfrage unterscheiden sich nicht wirklich. Eine Mail kann jedoch mitten in der Nacht geschrieben werden, was oft der einfachere erste Schritt für die Kontaktaufnahme sein kann. Auf eine Mail-Anfrage reagieren wir mit einer Antwortmail und bieten in der Regel eine telefonische Besprechung an.

Werden die Absolventinnen und Absolventen der Ausbildung jetzt einfach ins kalte Wasser geworfen?

Sicher nicht! Wir haben einen drei monatigen Einsatzplan ausgearbeitet und jede:r HelpLiner:in wird begleitet und kann sich jederzeit bei uns Unterstützung holen.