Ich lebe mit meinen zwei Töchtern und meinem Partner zusammen. Mein Sohn und ältestes Kind, er ist 20 Jahre alt, erhielt vor fünf Jahren die Diagnose Schizophrenie. Ebenfalls seit dieser Zeit sind Drogen ein schwieriges Thema für ihn. Seither war und ist er immer wieder lange in der Klinik. Dazwischen folgen meist kurzzeitige Aufenthalte in einem organisierten Setting, sei es Tagesklinik, Arbeitseinsatz, betreutes Wohnen … Und dann folgt meist eine unruhige Zeit, in der wir nicht wissen, wo er ist. Er reist umher, wandert, konsumiert Drogen, taucht plötzlich bei seinem Vater oder uns auf, bis er wieder in die Klinik kommt. Wir versuchen zuhause jeweils aufzufangen, was möglich ist. Die Begleitung einer solchen Situation in Kombination mit Berufstätigkeit und Familie ist für uns anspruchsvoll. Noch haben er oder wir alle zusammen keine Rahmenbedingungen gefunden, in denen er sich wohlfühlen würde und die Stabilität geben könnten.
Kraft schöpfen aus der Liebe
Die Situation ist belastend. Kraft gibt mir die Tatsache, dass ich meinen Sohn genau wie meine anderen Kinder liebe und ihn daher auf seinem Weg begleiten möchte – wie auch immer dieser Weg aussieht. Kraft schöpfe ich aber auch aus dem Antrieb, meinen Töchtern gute Bedingungen zu bieten, damit sie trotz der Belastungen, die auch sie erfahren, zufrieden aufwachsen können. Meine gute Arbeitssituation motiviert mich ebenfalls. Mein Garten, das Winzern und der Schamanismus bringen mich mit der Erde in Kontakt und bieten mir einen guten Ausgleich.
Engagiert für andere Angehörige
Die Situation meines Sohnes und das Gefühl, dass sowohl er wie auch wir Angehörigen irgendwie auf der menschlichen Ebene alleingelassen sind, haben mich dazu bewogen, mich für die Angehörigenbewegung in Graubünden zu engagieren. Ich wünsche mir, dass sich die psychiatrischen Angebote nach den Bedürfnissen und Ressourcen der Betroffenen und Angehörigen ausrichten. Dass sie flexibler und interdisziplinärer werden, insbesondere, was die Möglichkeiten für eine Betreuung zu Hause betrifft. Angehörige müssen stärker in die Behandlung integriert werden. Das beweisen erfolgreiche Beispiele wie z.B. Open Dialogue, ein Behandlungskonzept aus Finnland, welches in angepasster Form z.B. auch im Berner Oberland angewendet wird. Solche Modelle bieten nicht nur Vorteile für die Betroffenen, sondern reduzieren auch Kosten und Aufwand von Fachpersonen.
Hilfe holen und Inseln schaffen
Werden Angehörige zum ersten Mal mit einer psychischen Erkrankung eines lieben Menschen konfrontiert, kann ihnen das den Boden unter den Füssen wegziehen. Meine Empfehlung ist, sich möglichst früh und vor allem auf verschiedenen Ebenen Hilfe zu holen. Wichtig ist aber auch, dem eigenen Gefühl für die Situation zu vertrauen und sich selbst Inseln zu schaffen, um aufzutanken.
Sie sind nicht allein
Sind auch Sie Angehörige:r oder Vertraute:r einer psychisch erkrankten Person? Wir sind für Sie da. Ob in täglichen Herausforderungen oder in Situationen der Hoffnungslosigkeit versuchen wir, Orientierung zu geben und gemeinsam Wege zu finden. Kontaktieren Sie uns.