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Lisa Bachofen, angehörige Mutter

«Angehörige, die sich auf einen Lernprozess einlassen, sind wunderbare Persönlichkeiten »

Seit zwölf Jahren ist Lisa Bachofen Expertin aus Erfahrung. Was sie in dieser Zeit von ihrer erkrankten Tochter und in der Begleitung von Angehörigen lernte, schildert sie in einem aufwühlenden Bericht.
Maske

Als meine Tochter vor rund zwölf Jahren erkrankte, arbeitete ich gerade in der Psychiatrie. Dadurch war ich schneller mit der VASK (heute Stand by You) in Verbindung als andere Angehörige und damit am Puls von Wissen und Vernetzung. Aber als ich die erschöpften, zermürbten Gesichter der meist älteren Angehörigen sah, erschrak ich. «Nein, das kann nicht mein Schicksal sein. Da muss man doch etwas tun. Warum sind diese Menschen so müde?»

Vor sieben Jahren dann übernahm ich das Präsidium der VASK Bern – weil es mir vor die Füsse gelegt wurde. Ich hatte eine Teilzeitstelle und damit «Zeit» für die Angehörigenarbeit. Gleichzeitig lernte ich, unkonventionell zu denken und auf meine Tochter zu hören. Sie hatte mehrere Jahre selbständig gelebt und im Ausland studiert. Sie kam zu mir – ich war ihr sicherer Hafen, wenn sie das Leben nicht ertrug – und so suchten wir einen heilen und guten Ort zum Leben. Seither lerne ich extrem viel von ihr. Sie kann sich gut ausdrücken – lässt mich teilhaben – auch wenn sie zwischendurch die Nähe nicht erträgt. Dann habe ich mein Büro und sie die Natur. Und was ich bei ihr lerne, was ich aus dem Beruf mitbringe, das alles fliesst in die Arbeit mit Angehörigen ein. Und ich liebe Angehörige – sie geben mir viel. Wir erfahren eine berührende Nähe und begegnen uns in einer Tiefe, die ich sonst kaum finde.

Die Gruppen sind ein wunderbarer Ort der Ehrlichkeit
Ich bin privilegiert, denn ich darf seit Jahren von anderen Angehörigen lernen, wie sie den Alltag mit ihren Lieben meistern und wie sie mit Ohnmacht umgehen. Ich gehe praktisch immer bereichert und beschenkt aus den Gruppen nach Hause. Und es sind mittlerweile acht Gruppen, die sich physisch treffen und mehrere Zoomgruppen. Die Begegnungen miteinander sind von einer intensiven Qualität – in aller Ehrlichkeit können wir uns begegnen und uns gegenseitig Mut machen. Tränen haben Platz und es wird gelacht. Wir kennen die Emotionen – wir haben alle gelitten und gehofft – wir haben die Wechselbäder erlebt, die psychische Erkrankungen mit sich bringen. Und wir haben viel Negativität abzufedern versucht. Es ist uns nicht immer gelungen. Wir dürfen fehlerhaft sein. Wir sind ehrlich zueinander. Nur aufgrund dieser Ehrlichkeit können wir Lernprozesse machen. Und meistens öffnet sich dann ein Türchen, wo wir es nicht erwartet hätten.

Fehlerhaftigkeit ist eine gute Voraussetzung für Angehörige
«Meine» Angehörigen hören immer wieder: «Bitte mach Fehler – denn die Welt ist nicht so perfekt, wie wir sie gerne hätten.» Es wäre zu bequem für die Welt – denn Perfektion macht hart. Krankheit und Schwachheit müssen ihren Platz in dieser Welt haben – und wir Angehörigen verteidigen das Recht auf Unzulänglichkeiten. Das macht uns authentisch und stark. Wie sollen Menschen mit psychischen Problemen Mut fassen, wenn wir ihnen dauernd Stärke vorspielen? Wie sollen sie lernen, mit Schwäche und Einschränkungen umzugehen, wenn wir sie nicht an uns selbst annehmen können? Woher nehmen sie Vorbilder für die Krisenbewältigung, wenn nicht von uns Nahestehenden?

Neugier auf gesellschaftliche Dimensionen von Angehörigen
Mein Erschrecken über das Gesundheitssystem darf nicht einfach in einem Lamento enden. Es muss eine Aktion folgen. Es kann nicht sein, dass Angehörige in der Psychiatrie landen, weil sie zu wenig Unterstützung erhalten. Es braucht Angehörigenbegleiter:innen! Es kann nicht sein, dass Carearbeit zu finanzieller Schlechterstellung vor allem von weiblichen Angehörigen führt. Es kann nicht sein, dass Angehörige von Fachpersonen als Verursacher einer psychischen Erkrankung angesehen werden und es kann nicht sein, dass Angehörige jahrzehntelang Betreuungsarbeit (allein auf sich gestellt) leisten, weil Behörden und Fachpersonen keinen Zugang zu einer kranken Person gefunden haben und diese jede Intervention ablehnt. Es kann nicht sein, dass es kaum lustvolle Integrationsangebote für unsere Lieben gibt … Und dann kommt noch eine lange Liste. Angehörige sollen sich beschweren – sollen laut werden – aber wo und wie? Wir müssen zusammenstehen in einer Community und gemeinsam die Gleichstellung von psychischen und physischen Erkrankungen einfordern. Ich erlebe unverhoffte Offenheit bei Behörden und Fachstellen, wenn ich wage, für unsere Anliegen hinzustehen. Stand by You – bitte auch Stand for You and for Me. Stehen wir hin für unsere Erkenntnisse und Anliegen! Wir haben so viel Geduld, Echtheit und Flexibilität gelernt. Angehörige sind die wertvollsten Mitarbeiter:innen, die sich ein Unternehmen wünschen kann.

Hilfe holen und schaffen
Sie sind nicht allein

Sind auch Sie Angehörige:r oder Vertraute:r einer psychisch erkrankten Person? Wir sind für Sie da. Ob in täglichen Herausforderungen oder in Situationen der Hoffnungslosigkeit versuchen wir, Orientierung zu geben und gemeinsam Wege zu finden. Kontaktieren Sie uns.